Bettina Schneider

Mittelstand
ist eine Haltung

Vom Handwerksbetrieb zum weltweit erfolgreichen Industriebetrieb: Bettina Schneider tritt 1999 in die Geschäftsführung der J. Schneider Elektrotechnik GmbH ein und führt das Familienunternehmen gemeinsam mit ihrem Vater und Geschäftsführer Rolf Anti auf einen neuen Kurs. In kürzester Zeit wächst der Mittelständler aus dem Ortenaukreis zum Hidden Champion heran.

 

Was hinter dem Erfolgsweg steckt, verrät die Unternehmerin, die sich auch seit vielen Jahren im Aufsichtsrat der Volksbank engagiert, im Interview.

Frau Schneider, Sie führen heute das Familienunternehmen in der 3. Generation – und zwar recht erfolgreich, wenn man das so salopp sagen darf. War Ihnen schon immer klar, dass das Lebenswerk Ihrer Familie auch einmal Ihr Lebensweg werden würde?

Ja, absolut. Ich bin im Unternehmen groß geworden und wortwörtlich darin aufgewachsen. Im Geschäftshaus haben meine Großeltern gewohnt und meine Eltern und ich direkt nebenan. Als ich noch ein Kind war, war mein Vater stark im Außendienst tätig und daher viel unterwegs. Da bin ich fast täglich an der Hand meines Großvaters und Firmengründers in den Betrieb spaziert. Ich wurde nie gezwungen, die Unternehmensnachfolge anzutreten – ich wollte das. Nur für den Fall, dass mein Vater mir die Geschäftsleitung nicht zugetraut hätte, hatte ich einen Plan B. Aber letztlich hat sich die Frage nie gestellt. Ich durfte schnell Verantwortung übernehmen und bin seit 1999 auch peu à peu in die Geschäftsführerrolle hineingewachsen. Auch wenn mein Vater heute mit 87 Jahren nicht mehr im operativen Geschäft tätig ist, empfängt er mich täglich mit Fragen wie: »Was gibt es Neues? Wie sehen die Auftragsbestände aus?« Er hat das Unternehmen aufgebaut, und das kann man nicht abschütteln. Das ist Unternehmertum.

Inzwischen steht Ihr Unternehmen mit den drei Geschäftsbereichen – dem Transformatorenbau, dem Servicecenter für elektrische Antriebe und der HV/ USV-Stromversorgung – als führender Anbieter industrieller Stromversorgungen solide am Markt. Stimmt es, dass eigentlich alles mit einem Zufall begann?

Es begann vor allem mit sehr viel Mut. Als mein Großvater sich mit dem Reparaturwerk für elektrische Antriebe 1939 selbstständig machte, tat er dies unter schwierigen wirtschaftlichen Voraussetzungen. Doch er hat das Geschäft erfolgreich aufgebaut. Durch einen Reparaturkunden sind wir dann tatsächlich eher durch einen Zufall zu unserem heute größten Geschäftsbereich, dem Transformatorenbau, gelangt. Dieser Kunde meinte: Wir könnten doch so einen Transformator selbst bauen – was damals völliges Neuland für meinen Vater war. Also: gesagt, getan. Und zwar mit viel Know-how, innovativen Ansätzen – und vor allem mit handwerklichem Geschick.

»Teil unserer Philosophie ist es, die Weltmarktführer
zu begleiten, denn bei diesen Unternehmen werden
die Innovationen vorangetrieben und nur so
können wir uns auch weiterentwickeln.«

 

Spulen wickeln – ein Handwerk, das heute nur noch sehr wenige beherrschen und mit dem Sie sich so vom Markt abheben. Sie könnten von der »neuen« Sparte, dem Transformatorenbau, im Prinzip leben. Dennoch sind Sie Ihren Wurzeln treu geblieben und führen auch das Reparaturwerk weiterhin als eigene Sparte im Unternehmen fort. Eine emotionale Entscheidung?

Unser Traditionsbereich ist regional verankert, das heißt: nur Facharbeiter aus der Region, nur regionale Kunden. Es ist wichtig, schnell und persönlich vor Ort zu sein und sofort reagieren zu können, wenn Elektromotoren ausfallen. Damit sind wir hier im Südbadischen mit unserem Reparaturservice einer der größten Betriebe – und unsere Auftragsbücher sind voll. Dennoch: Die Wachstumsmöglichkeiten sind auf die Kunden in der Region begrenzt.

Wachstum spielt aber eine wichtige Rolle?

Ich habe schon früh freie Hand von meinem Vater bekommen, das Unternehmen weiterzuentwickeln. Wir waren damals 80 Personen, alles war handwerklich geprägt: Die Männer sind mit dem »blauen Anton« – unsere liebevolle Bezeichnung für die Arbeitskleidung – herumgelaufen und haben über Technik gesprochen. Anfang der 1990er Jahre ist dann quasi ein anderes Unternehmen entstanden. Wir haben uns vom Handwerksbetrieb zum Industrieunternehmen entwickelt. Während meines Studiums hatte ich mich bereits stark auf das Exportmarketing spezialisiert. Im Familienunternehmen hat sich mein Fokus dann relativ schnell verschoben – vom reinen Exportmarketing hin zum Marketing. Denn das war in unserem Unternehmen der erste wichtige Schritt: Das Marketing in Deutschland systematisch aufzubauen. Heute sind wir der Lieferant für große, internationale Unternehmen. Unser indirekter Exportanteil liegt bei rund 80 Prozent. Und ja – wir sind erheblich gewachsen und beschäftigen heute circa 400 Mitarbeiter.

Eine starke Wachstumsphase, die tiefgreifende Veränderungen mit sich brachte. Bei Ihrem Vater wurde das persönliche Miteinander, ein großer Mehrwert in mittelständischen Unternehmen, noch sehr stark gelebt. Steht die heutige Unternehmensgröße dem familiären Charakter nicht im Weg?

 Natürlich wird es immer schwieriger, dieses »Persönliche« weiterzuführen. Wir haben 3 Standorte in Offenburg – in meinem Arbeitsalltag kann ich nicht täglich überall auch vor Ort sein oder vorbeikommen. Und das ist auch gar nicht notwendig: Unsere Führungsmannschaft macht das großartig. Sie wollen Verantwortung und sich selbst um ihre Bereiche kümmern. Sie sind genauso eng an den Mitarbeitern, wie wir das immer waren und im Rahmen der Möglichkeiten noch immer versuchen. Ich bin überzeugt davon, dass die Mannschaft weiß, dass wir da sind, hinter ihr stehen und sie sich auf uns verlassen kann. Mittelstand ist eine Haltung. Und wenn es darauf ankommt, dann spürt man den Unterschied zu unpersönlicheren Großkonzernen und die enge Bindung zwischen der Geschäftsleitung und den Mitarbeitern.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die erneute Bewährungsprobe im Corona-Jahr 2020. Niemand hat zu Beginn gewusst, wo es hingeht, ob wir betroffen sein werden, ob wir schließen müssen, Lieferketten zusammenbrechen oder Kunden wegfallen. Wir haben mit dem Betriebsrat vereinbart, jegliche entgeltliche Sonderzuwendungen erst einmal auszusetzen, aber allen direkt gesagt: »Wenn am Jahresende die Situation anders eingetroffen ist, als wir sie befürchten mussten – dann wird geteilt.« Das Jahr ist zum Glück gut für uns gelaufen, also konnten wir das Versprechen erfüllen. Die Kommunikation ist bei uns sehr persönlich und so wissen alle, woran sie sind. Dass wir auch 2021 unsere Weihnachtsfeier absagen mussten, war eine Riesenenttäuschung für alle, auch für mich. Harte Zeiten prägen. Dabei gemeinsam an einem Strang ziehen in einem partnerschaftlichen Miteinander, das geht aber immer – egal ob ein Unternehmen 100 oder 400 Mitarbeiter stark ist.

Also ein erfolgreiches Familienunternehmen aufgrund einer großen »Unternehmerfamilie«, zu der Sie Ihre Mitarbeiter hinzuzählen.

Das kann man so sagen. Ich denke aber, ein wesentlicher Grund für unser starkes Wachstum war seiner Zeit auch die Unternehmerleistung meines Vaters. Er ist von Beginn an sehr visionär gewesen. Sein Credo – und das haben wir in der Nachfolge übernommen – ist, dass wir versuchen, in den Köpfen unserer Kunden spazieren zu gehen. Das heißt, wir wollen von Anfang an bei deren Ideen dabei sein, aktiv mit den Entwicklungsabteilungen zusammensitzen. Diese Vorgehensweise haben wir über all die Jahre auch mit neuen Kunden beibehalten. Teil unserer Philosophie ist es, die Weltmarktführer zu begleiten, denn bei diesen Unternehmen werden die Innovationen vorangetrieben und nur so können wir uns auch weiterentwickeln. Das sind Nischen, in denen wir uns auch gegen die ganz Großen behaupten können. Im Transformatorenbereich arbeiten wir zum Beispiel mit Kunden wie Enercon zusammen. Enercon ist einer der Weltmarktführer im Windenergieanlagenbau mit über 13.000 Mitarbeitern. Im Elektronikbereich haben wir keine spezifische Bindung an einen Weltmarktführer, da sind wir im Prinzip bei vielen großen Kunden und in vielen Branchen mit dabei: von den regenerativen Energien bis hin zur Brandmeldetechnik, der Verkehrstechnik, in Laboren oder im Anlagenbau zur Beschichtung von Brillen – alles unglaublich spannende Themenfelder.

Da sprechen Sie einen guten Punkt an. Denn Sie sind an DER Basisinnovation beteiligt, ohne die viele nachhaltige Technologien nicht möglich wären. Windräder ohne Transformatoren – undenkbar. Sie leisten da einen wichtigen Beitrag zur Energiewende.

 

Ich sehe, was wir alles mit unseren Transformatoren tun können und wie unsere Produkte in Windrädern und ganzen Solarparks die Energiewende begleiten. Viele große PV-Anlagen laufen mit unseren Transformatoren. Es ist einfach gigantisch, was da an Technologie dahintersteckt und wie sich die Technologie immer wieder verändert. Wir sind bei den Entwicklungsprozessen mit dabei, fokussieren im PVBereich ja bereits die übernächste Generation an. In den Köpfen der Kunden spazieren gehen, aktiv dabei sein, zuhören, mit den Kunden Lösungen entwickeln, sich bei Verbänden – zum Beispiel dem WVIB – vernetzen und stetig neuen Input bekommen. Das ist wichtig für Innovation und Fortschritt.

Plaudern Sie doch mal aus dem Nähkästchen: Was kommt im Nachhaltigkeitsbereich auf uns zu?

Der Energiesektor wird weiter optimiert werden müssen. Windkraft und Photovoltaik nehmen bereits stark zu, natürlich auch die Anforderungen an die Materialien und Produkte. Eine der derzeit größten Herausforderungen ist es, die richtigen Rohstoffe und Vorprodukte überhaupt zu akzeptablen Preisen zu bekommen. Nichtsdestotrotz: Man kann politisch eingestellt sein, wie man will – doch auf unserer Welt muss sich etwas in allen Bereichen verändern, da gibt es nichts zu diskutieren. Und das spüren wir schon jetzt bei unseren Produkten. Hier liegt noch viel Zukunft vor uns.

Eine Zukunft, die Sie mitgestalten. Als Aufsichtsratsmitglied der Volksbank kennen Sie den Begriff »Zukunftsgestalter « nur zu gut. Hätten Sie sich selbst dazu gezählt?

Ich glaube, ein Zukunftsgestalter braucht eine gewisse Unruhe, eine Neugierde, das Gen, Dinge stetig verändern und ver-bessern zu wollen. Einen Innovationswillen. Mein Vater ist genau so ein Mensch. Er ist auf Seminare gegangen, als das noch kein Mensch gemacht hat. Er war Gründungsmitglied verschiedenster Verbände, war dauernd unterwegs, getrieben von Neugierde. Diese Neugierde teile ich sicherlich, aber vor allem die Faszination an unseren Produkten und den verrückten Möglichkeiten. Wir haben auch schon Sachen gemacht, die zu nichts geführt haben, wo unsere Innovation zu schnell für den Markt gewesen war. Aber den Mut muss man auch haben, mal etwas in den Sand zu setzen. Das steckt aber nicht nur in mir, das steckt im gesamten Unternehmen und beginnt bereits bei der Einstellung neuer Mitarbeiter. Ich entscheide mich immer für die Person, die für das brennt, was sie tut, teilhaben will, Neues entwickeln will.

Also mit Herz und Seele dabei sein?

Ganz genau. Für mich ist es wichtig, dass das Unternehmen als solches sich in seiner Struktur immer wieder wandelt und sich an die Bedürfnisse der Menschen anpasst. Aber auch, dass die Werte, die wir vorleben – Vertrauen, Ehrlichkeit, Offenheit – beibehalten werden.

Frau Schneider, es ist sehr deutlich geworden: Die Verbundenheit der Unternehmerfamilie mit dem Familienunternehmen, die Nähe zu den Menschen, das ist – in Kombination mit Ihrer Freude an Innovationen – was Ihre Familie und Ihr Unternehmen seit Generationen auszeichnet. Dieses Flair, diese Haltung, man kann es förmlich spüren. Weiter so und vielen Dank für das Gespräch.
Vielen Dank

WISSENSWERTES

Kennen Sie eigentlich Friedrich August Haselwander?

Der Ingenieur entwickelte 1889 mit seiner Erfindung – der Drehstrom-Synchronmaschine – die Lösung für eine verlustarme Übertragung des elektrischen Stroms. Eine Basisinnovation, die heute nicht mehr wegzudenken ist. Wo wären wir heute ohne die Möglichkeit, Strom zu übertragen? Kein Wunder also, dass in Offenburg eine Schule und eine Straße nach Haselwander benannt wurden und er so bis heute in aller Munde ist.

Aber wussten Sie, dass …

Der Reparaturservice von Johann Schneider in der Helmholtzstraße lag direkt neben der Haselwanderstraße – und zu seinen Kunden zählten damals bereits so ziemlich alle Werke im Ortenaukreis. So war es Karl Schneider, der als Junge auf einem Pferdefuhrwerk sitzend, die Motoren transportierte und bei der Entwicklung mitwirkte.

Übrigens:

Für das Deutsche Museum in München hat die J. Schneider Elektrotechnik GmbH den Motor nochmals nachgebaut. Lange stand ein Exemplar auch im Eingangsbereich des Unternehmens – doch nun richtet Bettina Schneider den Fokus auf die Zukunft.