Zum Wilden Michel

„All In“:
Wie aus einer Stammtisch-Idee eine erfolgreiche Existenzgründung wird.

Das Fernsehen klopft an, über 60 Bands trommeln in der Warteschleife für einen Gig, Oma Erna lässt sich mitsamt eines Tiny House nieder und die Camping-Hauptsaison steht erst noch vor der Tür: Seit Urs und Ute Fischbach 2021 ihren Lebenstraum verwirklichten und den Campingplatz „Zum Wilden Michel“ in Linach eröffneten, hat sich einiges verändert – nicht nur im Leben der beiden. Plötzlich ist es an Wochenenden „laut und wild“ inmitten der ruhigen Schwarzwaldoase nahe Furtwangen, wo sich sonst Fuchs und Hase „Gute Nacht“ sagen.

Die Existenzgründung? Ein Erfolg. So viel sei vorweggenommen. Die Volksbank eG – Die Gestalterbank durfte den Weg von Anfang an begleiten. Ein spannendes Projekt, geprägt von Menschen mit dem Herzen am rechten Fleck und einer gesunden Portion Verrückt-mutig-anders-Sein im Blut.

 

Es gibt nur eine Straße und zwei Möglichkeiten, um das Hofgut „Zum Wilden Michel“ zu erreichen. Da wäre die Anfahrt von unten. Eine Empfehlung. Die Bundesstraße links in Richtung Linachtal verlassend, taucht man unmittelbar in den Schwarzwald ein. Vorbei an der Talsperre und dem idyllischen Stausee windet sich die enge Straße Kurve um Kurve in die Höhe. Grüne Wiesen, gesäumt von dichtstehenden Bäumen im Sommer, ein paar Bauernhöfe hier und da, der Klang und der Geruch der Natur, die durchs Fenster strömen. Motorradfahrer legen sich auf ihrem Weg abwärts in die Kurven, Camper schieben sich gemächlich aufwärts. Jetzt nur keine Panik, weil die Straße eng ist. Stattdessen lohnt es sich, den Blick nach vorne zu richten. Denn da steht das Ziel imposant auf einer Kuppe inmitten einiger Weiden. Der Campingplatz auf einer großen Wiese fällt zuerst ins Auge, dann ein paar Sonnenschirme auf einer Terrasse und dahinter das Gebäude mit über 700-jähriger Geschichte: der Michelhof.

 

Ein Stammtisch-Bier. Da ist die Idee.

Mit Urs und Ute Fischbach hat der Michelhof seit 2021 neue Besitzer – „Zum Wilden Michel“ heißt das historische Hofgut heute, ein Campingplatz mit einem besonderen Konzept. „Wir wollten eine Zielgruppe ansprechen, die sonst überall weggescheucht wird. Das war von Anfang an die Idee. Mit Hunden, mit Musikevents, mit Lagerfeuer – hier darf man laut sein und all das, was man sonst nirgendwo darf. Trotzdem kann die Oma am Sonntag noch zum Kaffeetrinken vorbeikommen zu Blasmusik und Zwetschgenkuchen“, erklärt Urs Fischbach das Konzept. Eine Idee, die 2019 mit seiner Frau und Freunden zu keimen begann – „klassisch, wie es im Leben läuft, bei einem Bier am Stammtisch“, lacht er. Eine 3-monatige Europareise mit dem Wohnmobil während der Elternzeit und die steigende Unzufriedenheit in ihren zeitintensiven Positionen in der Automobilbranche bestärken sie in dem Entschluss: Aus der Idee soll Realität werden.

„Am ersten Tag nach der Rückkehr unserer Wohnmobilreise haben wir bereits die erste Immobilie, die die Volksbank eG ausgeschrieben hatte, besichtigt. Da ging‘s dann auch direkt zur Sache mit Bauvoranfrage und Genehmigungsverfahren für einen Campingplatz und trallala.“ Die Immobilie ist es am Ende nicht geworden, doch der Startschuss für die intensive Suche war gefallen. Urs Fischbach erinnert sich noch gut an ihr Vorgehen: „Das erste halbe Jahr haben wir das Suchen auf klassischem Weg gemacht, mit Maklern und Immobilienportalen und so weiter. Das hat alles nicht so gut funktioniert. Also haben wir den Kurs geändert und Flyer verteilt: Wer wir sind, was wir suchen, was wir daraus machen wollen. Haben damit 200 Musikvereine angeschrieben, 80 Ortsvorsteher, mehrere Bauämter, die Denkmalschutzbehörde in Freiburg. Wir haben in den Wald reingerufen – und dann hat es angefangen zurückzurufen.“

»Wir sagen immer liebevoll ‚Wir micheln‘. Das
ist unser Synonym für schaffen, machen, tun.
Und ich hab seit diesem Mittwoch, an dem
mein Telefon geklingelt hat, nichts anderes
mehr gemacht als gemichelt. Die anderen
auch nicht.«

 

Die Hausaufgaben gemacht. Es geht „All In“.

Mittwochmorgen. Der Anruf kommt aus dem Freundeskreis. Der Michelhof steht zum Verkauf. Zu diesem Zeitpunkt sind die Fischbachs bereits bestens vorbereitet. Sie haben sich beim Bundesamt die Statistiken und Zahlen zum Campingmarkt angesehen, die Tourismuszahlen europaweit verglichen, ihre Idee „Camping plus Event“ in einem Konzept konkret ausgearbeitet. Kurz gesagt: Sie haben ihre Hausaufgaben gemacht. Auch der finanzielle Partner war von vorneherein in Stein gemeißelt: „Eigentlich standen uns recht viele Quellen für die Finanzierung zur Verfügung, zumal der Erwerb des Grundstücks über einen Privatkredit lief und wir mit unserem Privatvermögen rein sind. Aber für mich war klar, dass der erste Kontakt die Volksbank eG ist. Ich bin langjähriger Kunde, das ist unsere Hausbank und ich bin eine recht treue Seele, wenn ich zufrieden bin.“

Ein Vertrauensvorschuss, den Urs Fischbach rückblickend zurecht vergeben hat. „An einem Mittwochmorgen hat mein Telefon geklingelt – und bereits am Freitagmorgen konnte ich auf der Bank die Finanzierungsbestätigung abholen, um dann am Samstag hier auf die Besichtigung zu gehen. Wir waren zwar die, ich sag jetzt mal ‚flippigsten Interessenten‘, aber auch eindeutig die, die am besten vorbereitet waren. Niemand sonst hatte eine Finanzierungsbestätigung dabei. Sonntag war klar, dass wir den Michelhof kriegen, 8 Wochen später haben wir unterschrieben und 12 Wochen später eröffnet.“ Die Existenzgründung kann Urs heute in einem Atemzug abspielen – ein Moment, der damals eher den Atem verschlagen hat, schließlich gab es nun kein Zurück mehr. Der Schritt in die Selbstständigkeit musste gelingen, denn die Fischbachs waren „All In“ gegangen.

6 Hektar. 12 Wochen. 100 Dinge. Und der große Stopp im alten Leben.

„Wuah, ich hab einen großen Schwarzwaldhof gekauft und brauch ganz dringend Hilfe für alles“, erinnert sich Urs Fischbach an seinen Hilferuf direkt nach dem Erwerb. Für die Existenzgründer von Vorteil zeigt sich der Zustand des Hofguts. Zwar war die ehemalige Gaststätte rund 10 Jahre geschlossen gewesen, doch in dieser Zeit wurde quasi ein großes weißes Tuch über allem ausgebreitet. Auch ohne größere Sanierungen am Gebäude selbst stellt die Anfangszeit die Belastbarkeitsgrenze dennoch auf eine harte Probe. „Wir mussten uns gleichzeitig um 100 Dinge kümmern und von diesen 100 Dingen hatten wir 100 davor noch nie gemacht. Und das ist schon ne harte Nummer. Dazu noch einen 40-Stunden-Job zu haben plus dann den Michel obendrauf, das war schon ziemlich krass.“

In 3 Monaten kümmern sich die frisch gebackenen Hofgutinhaber um alles Wesentliche für einen reibungslosen Start des Campingplatzes – und natürlich auch um den eigenen Umzug in das neue Zuhause: Gastrosoftware, Reservierungssoftware, Homepage, Notar, Gesellschafterverträge, die Ausschankkonzession – daneben auch Arbeiten am Haus selbst: 2.000 Quadratmeter Gebäudefläche auf 5 Stockwerke verteilt. „In der Zeit haben wir natürlich auch schon mit den Arbeitgebern gesprochen und angefangen, die Jobs auslaufen zu lassen.“ Der große Stopp im alten Leben.

Glücklicherweise trägt Urs‘ Hilferuf schnell Früchte und der Traum vom „Wilden Michel“ wächst vom Familienprojekt zum Gemeinschaftsprojekt heran: „Es hat sich gleich die Resi aus Furtwangen gemeldet und so sind wir dann irgendwie immer mehr und mehr geworden. Ich sag mal so:

‚Die Spinner finden dann schnell zusammen.‘
Heute ist der „Wilde Michel“ das Zuhause für Familie Fischbach, die Schwiegereltern, die beste Freundin von Urs, Aniko und Theresa (Resi) (die dem Hilferuf für Rasenmähen und Co. als Erste folgte und heute für das Marketing zuständig ist) und aktuell sieben weitere Mitbewohnende. „Und heute schlägt die Oma Erna auf. Sie wird dieses Jahr 70, ist letztes Jahr in Rente gegangen und hat sich in ihrer Wohnung gedacht: ‚Das ist jetzt alles?‘ Als sie gesehen hat, was wir hier machen, hat sie uns nach einem Dauerstellplatz gefragt. ‚Habt ihr Bock, dass man hier mithilft?‘ - Jawollja. – ‚Also gut, dann geh ich jetzt ein Tiny House kaufen.‘“, erzählt Urs Fischbach vom bunten Wachstum der WG. Drei weitere Mitbewohnende stehen ebenfalls bereits in den Startlöchern. Einzige Voraussetzung für eine Wohnung auf dem Hofgut? „Die Bereitschaft, in der Gastronomie auf 520 Euro Basis mitzuarbeiten.“ Urs Fischbach umgeht damit eine Problematik, mit der die Branche aktuell stark zu kämpfen hat: der Personalmangel im Service. Ein wichtiger Aspekt, besonders im Hinblick auf die immens gestiegene Nachfrage seit der Existenzgründung.

Familie Fischbach zeigt sich von Beginn an „laut und wild“ am Markt: Neben Campingplatz, Bubblezelt, Ferienwohnungen und Gastronomie starteten sie direkt mit zahlreichen Musikevents und der Vermietung der Eventscheune für Veranstaltungen durch. Nun macht sich die Anfangsmühe bezahlt – und zwar nicht nur in Form von TVAuftritten beim SWR und ProSieben: „Die Lawine musste erst ins Rollen kommen. Die ersten zwei Monate haben wir noch Künstler und Musiker anfragen müssen und jetzt überrennt es uns. Wir haben aktuell 65 Bands in der Warteschleife, die hier auftreten wollen.“ Trotz der vielen Anfragen finden die Musikveranstaltungen dennoch nur am Wochenende statt – und diese sind bereits für das gesamte Jahr durchgeplant.

Neu

Der Preis der Freiheit: selbst und ständig?

Rund zwei Jahre ist Urs Fischbach nun sein eigener Herr. Entscheidungen muss er nicht mehr von einem Gremium absegnen lassen – wohl aber mit den Konsequenzen leben. Die Konsequenzen seiner Existenzgründung: „Wir sagen immer liebevoll ‚Wir micheln‘. Das ist unser Synonym für schaffen, machen, tun. Und ich hab seit diesem Mittwoch, an dem mein Telefon geklingelt hat, nichts anderes mehr gemacht als gemichelt. Die anderen auch nicht.“

Je mehr „gemichelt“ wird, desto erfahrener wird das Team dabei. Denn sämtliches Knowhow, ob für die Gastronomie, die Events oder die Vermietungen, eignen sich alle aus der Praxis heraus an. Bei 10 Events bereits im ersten Monat der Eröffnung ist die Lernkurve steil. „Mein Anspruch an die Qualität ist eigentlich hundseinfach: Wie fänd ich es cool, wenn ich irgendwo als Gast hingehen würde. Was ist mein Maßstab?“, beschreibt Urs Fischbach die Denkweise, die sich bezahlt macht. Denn zum heutigen Zeitpunkt hat sich sein Leben um 180 Grad verändert: „Wir sind jetzt zum ersten Mal in der Lebensqualitätskurve zunehmend. Das Team ist mittlerweile gut eingespielt, sodass wir – meine Frau, Oskar und ich – auch mal ein Wochenende gar nicht da sein müssen.“ Endlich mehr Zeit für die Familie – und Zeit für die Suche nach regionalen Köstlichkeiten.

 

Gesucht: Essiggurken aus dem Schwarzwald.

Denn worauf Urs größten Wert legt, ist die Herkunft sämtlicher Produkte und Leistungen, die es beim „Wilden Michel“ gibt. Angefangen bei den Handwerkern bis hin zur Produktion der Flyer, dem gesamten Merchandising und selbstverständlich den Produkten auf der Speisekarte – alles muss aus dem Schwarzwald kommen, so die Devise. „Manchmal häng ich stundenlang im Internet und telefonier mich durch bis ich wieder irgendwo einen Bauernhof gefunden hab, der mir mein Produkt so herstellt, wie ich das gerne hätte. Außer Essiggurken. Ich find immer noch keine Essiggurken aus dem Schwarzwald“, zeigt sich Urs mit einem Grinsen im Gesicht empört. Auf dem Campingplatz zählt also Qualität anstelle von Quantität – eine Qualität, die kontinuierlich dem Selbsttest unterzogen wird: „Wir haben wenige Sachen. Aber die Sachen sind dafür gut, weil wir sie schließlich auch alle selbst essen. Das ist am Wochenende unsere Verpflegung. Das muss also passen.“

 

Die richtige Entscheidung für Herz und Business.

Während vieles auf dem Campingplatz bereits Alltag geworden ist und die Wahl-Patchworkfamilie zusammenwächst, sind die Umbauarbeiten am Michelhof für die frischen Existenzgründer hingegen noch nicht abgeschlossen. Gerade im Aufbau befindet sich ein Dachzeltdorf von den Dachzeltnomaden. Doch das ist nicht alles.

Urs Fischbach lässt sich in die Karten blicken und verrät: „Wir haben gerade die telefonische Zusage von der Volksbank eG für unseren ersten Businesskredit erhalten. Wir fangen also jetzt an, die Ferienwohnungen weiter auszubauen. Dann bekommt die Eventlocation eine Toilette, die Sanitäranlage des Campingplatzes wird modernisiert, denn auch der ist größer geworden und braucht mehr Duschen. Dann gehts noch um die Infrastruktur auf dem Campingplatz, da muss man auch noch mal einen Batzen Geld in die Hand nehmen für Strom, Wasser, Abwasser und Internet. Tja – und dann ist das Geld auch schon wieder weg. Aber dann bin ich auch einigermaßen zufrieden, dann können wir erst mal laufen lassen.“, grinst Urs selbstbewusst.

Aus fiktiven Plänen, die er mit seiner Frau Ute im ersten Businessplan kalkuliert hatte, sind nun reale Zahlen geworden. Dass dabei der erste Plan bereits übertroffen wurde,
bestärkt das Paar darin, mit dem Schritt in die Selbstständigkeit und dem Wunsch nach Autarkie alles richtig gemacht zu haben. „Wenn man sieht, dass man seinen ersten Businessplan übertroffen hat, dann für die Bank eine Erweiterung erstellt und auch da sieht, dass man schon auf einem Kurs ist, der über dem neu abgegebenen Businessplan liegt – tja, dann ist das schön. Wenn dann auch noch die Bank kommt und sagt ‚Jawoll, hier hast du Geld, du machst was richtig. Los gehts.‘ – dann ist das noch schöner. Deshalb: Selbstständigkeit? Klares Ja.“

 

Die zweite Möglichkeit, um „Zum Wilden Michel“ zu gelangen? Der Weg von oben. Dieselbe Straße. Eng und kurvig. Die Fahrt ist viel kürzer als der Anstieg vom Tal kommend. Schnell wandert der Blick zum Rücken des Hofguts – mit großem Logo, falls sich doch einmal jemand zufällig auf die Straße verirrt. Die Aussicht von hier oben gibt den Blick aber vor allem auf die große Festzeltwiese frei. Und den Weiher. Man bekommt ein Gefühl für das neue Leben der Familie Fischbach und ihrer bunten WG. Wann immer Urs heute auf seinen Hof fährt, die frische Luft in der Nase, die ersten Sonnenstrahlen, die den Frühling ankündigen, im Gesicht, ist er einfach nur glücklich, inmitten dieser Natur „micheln“ zu dürfen. Vor noch nicht allzu langer Zeit saß er bei diesem Wetter im Büro, die Existenzgründung nicht mehr als eine verrückte Idee bei einem Bier am Stammtisch.